Halbzeitbilanz der Bundesregierung: Bundeswehr rekrutiert mehr Minderjährige als Soldatinnen und Soldaten

Zum Weltkindertag am 20. September zieht das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ eine kritische Halbzeitbilanz der Arbeit der aktuellen Bundesregierung. Obwohl im Koalitionsvertrag festgehalten ist, dass „Ausbildung und Dienst an der Waffe volljährigen Soldatinnen und Soldaten vorbehalten bleiben soll”, hat die Bundeswehr 2022 1.773 minderjährige Soldatinnen und Soldaten eingestellt, darunter 327 Mädchen – ein erheblicher Anstieg um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr und der höchste Wert seit fünf Jahren. Fast 10 Prozent aller neu eingestellten Soldaten und Soldatinnen waren 2022 minderjährig.

„Unser Bündnis fordert Verteidigungsminister Pistorius auf, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu erhöhen, wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist und wie es seine Partei, die SPD, und der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes seit vielen Jahren fordern“, sagt Martina Schmerr von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Sprecherin des Bündnisses „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“.

“Die Bundeswehr versucht, ihre Personalprobleme auf Kosten von schutzbedürftigen minderjährigen Jungen und Mädchen zu lindern – das ist inakzeptabel und führt zu schweren Kinderrechtsverletzungen”, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes und Sprecher des Bündnisses „Unter 18 Nie!“. “Über 150 Staaten weltweit halten den internationalen 18-Jahre-Standard für die Rekrutierung von Soldatinnen und Soldaten ein – es wird höchste Zeit, dass Deutschland dies auch tut.“

Mit Blick auf zunehmende Einsätze von Jugendoffizieren und „Karriereberater*innen“ der Bundeswehr an Bildungseinrichtungen sagt Martina Schmerr von der GEW: „Der russische Angriffskrieg hat vieles verändert: Das Militär präsentiert sich durch einen stetig steigenden Werbeetat in immer mehr Bereichen der Gesellschaft. Auch werden zunehmend Stimmen laut, dass sich die Schule für Jugendoffiziere öffnen sollte. Schulen müssen aber ein geschützter und ziviler Raum für Kinder und Jugendliche bleiben.“ 

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hatte Deutschland zum Abschluss des Prüfverfahrens der Lage der Kinderrechte in Deutschland scharf kritisiert und dringend aufgefordert, die andauernde Rekrutierung minderjähriger Soldatinnen und Soldaten zu stoppen, da die Gefahr von Unfällen, seelischen Schäden, sexuellem Missbrauch und andere Formen der Gewalt in der Bundeswehr besonders hoch ist und solche Fälle dort regelmäßig registriert werden [1].

Das Bündnis “Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr” wird getragen von verschiedenen Organisationen aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaften.

Kontakte:

Martina Schmerr, GEW, martina.schmerr@gew.de, Tel. 069/78973-322

Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel. 0541/7101-108


[1] Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Abgeordnetenfrage (1980034-V267, 2021), die belegt, dass minderjährige Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr schwere körperliche und seelische Schäden erleiden. Abrufbar unter: https://unter18nie.de/2021/09/17/pressemitteilung-minderjaehrige-soldatinnen-und-soldaten-erleiden-koerperliche-und-seelische-schaeden/

Pressemitteilung

Zahl minderjähriger Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr erreicht 5-Jahres-Höchstwert
Berlin, 21.1.2023.

Die Bundeswehr hat im vergangenen Jahr 1.773 minderjährige Soldatinnen und Soldaten eingestellt, ein starker Anstieg um 43% gegenüber 2021 (1.239). Darunter waren 327 Mädchen im Alter von 17 Jahren. Fast jeder zehnte neueingestellte Soldat oder Soldatin war 2022 minderjährig. Dies geht aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine schriftliche Frage des Linken-Abgeordneten Ali Al-Dailami hervor.

„Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass die Bundeswehr in 2022 fast 1.800 minderjährige Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten rekrutiert hat – dies ist der Höchstwert der letzten fünf Jahre“, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes, Sprecher des Bündnisses „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“.

„Es geht hier um 17-jährige Mädchen und Jungen, die bei der Bundeswehr hohen Risiken wie Unfällen, starken psychischen Belastungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind, wie Berichte des Verteidigungsministerium belegen. Wir fordern den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius auf, diesem Trauerspiel endlich ein Ende zu machen und das Rekrutierungsalter für Soldatinnen und Soldaten auf 18 Jahre anzuheben, wie es schon über 150 Staaten weltweit getan haben.“

Dies hat kürzlich auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes erneut gefordert und Deutschland wegen der andauernden Rekrutierung Minderjähriger scharf kritisiert: „Sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung und andere Formen der Gewalt gegen minderjährige Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr müssen dringend untersucht und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Das Rekrutierungsalter für die Bundeswehr muss auf 18 Jahre angehoben werden. Jegliche Werbung und Marketing bei Minderjährigen für den Militärdienst, insbesondere an Schulen, muss verboten werden.“

Weitere Informationen:

Kontakte:

Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel. 0541-7101-108

Michael Zimmermann, Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen, michael.zimmermann@evlks.de, Tel. 0351-4692-425

Bundesregierung soll Soldatenrekrutierungsalter auf 18 erhöhen und Gewalt gegen minderjährige Bundeswehrsoldatinnen dringend stoppen Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes prüft alle paar Jahre, wie die Vertragsstaaten der UN-Kinderrechtskonvention diese umsetzen. Ende September veröffentlichte er seine Forderungen an Deutschland und kritisierte dabei die Bundesregierung scharf wegen ihrer andauernden Rekrutierung Minderjähriger als Soldatinnen, im Jahr 2021 waren es 1.239 Jungen und Mädchen.

Er sei sehr besorgt wegen sexuellem Missbrauchs und Gewalt gegen minderjährige Soldatinnen bei der Bundeswehr, so der Ausschuss, dies müsse dringend untersucht und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Außerdem sollten keine Minderjährigen mehr als Soldatinnen rekrutiert werden und jegliches Marketing und Werbung bei Minderjährigen für den Militärdienst verboten werden, insbesondere an Schulen.

„Dies gilt es jetzt endlich konsequent umzusetzen. Das Rekrutierungsalter muss im Soldatengesetz und im Wehrpflichtgesetz auf 18 erhöht werden, künftig dürfen nur noch Erwachsene militärisch ausgebildet werden, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht und es schon dreiviertel aller Staaten umsetzen“, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes, Sprecher des Bündnisses Unter 18 Nie – Keine Minderjährigen in der Bundeswehr. „Jeder Tag, den Minderjährige weiter den hohen Risiken der Soldatenausbildung ausgesetzt sind, ist ein Tag zu viel – denn ihre Kinderrechte werden dort gravierend verletzt.

Berlin, 15.3.2022. Im heute veröffentlichten Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Eva Högl, sind erneut Probleme mit minderjährigen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten dokumentiert. Das Bündnis „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ fordert eine schnelle Anhebung des Rekrutierungsalters auf 18 Jahre.

„Wie in den Vorjahren zeigt der Jahresbericht der Wehrbeauftragten auch diesmal Probleme mit minderjährigen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr und fehlende Schutzmaßnahmen“, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes, Sprecher des Bündnisses „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“. „Dazu drei Beispiele: So wurden nur für Volljährige zugelassene Covid-Impfstoffe an Minderjährige verimpft, weil in den Impfablauf keine Altersprüfung integriert war. Die Zahl an Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in der Bundeswehr ist 2021 im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen um 35% auf 303 Fälle, darunter vermutlich viele Minderjährige. Denn 1.239, rund 8 Prozent, aller neueingestellten Soldatinnen und Soldaten 2021 waren minderjährig – die genaue Zahl der betroffenen Minderjährigen wird leider weiter nicht veröffentlicht. Dazu kommen hohe Abbrecherquoten: Mehr als ein Fünftel (21%) der im Jahr 2020 neu eingestellten Minderjährigen brachen den Dienst schon in den ersten 6 Monaten wieder ab, deutlich mehr als Volljährige (15%)“, zählt Willinger auf. „Das ist eine Lose-Lose-Situation, unter der Minderjährige leiden und von der auch die Bundeswehr nichts hat.“

Das Bündnis verweist auf die in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Kinderrechte sowie auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags, die Deutschland wiederholt aufgefordert haben, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben.

„Es darf jetzt keine Ausreden mehr geben“, sagt Stephan Fegers von der Ärzteorganisation IPPNW, Mitglied des Bündnisses „Unter 18 Nie!“. „Die Antwort des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2021 auf eine Anfrage des Abgeordneten Frank Heinrich belegte, dass minderjährige Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr zahlreichen Risiken ausgesetzt sind: Sie werden Opfer von sexuellen Vergehen, knapp ein Drittel der Tatverdächtigen sind Vorgesetzte! Sie nehmen körperlichen und seelischen Schaden, es kommt zu Unfällen, Depressionen, schweren psychischen Problemen und Selbstmorden. Das ist skandalös und muss dringend gestoppt werden. Es wird deshalb höchste Zeit, dass die Parteien der Regierungskoalition ihre Wahlversprechen und die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, künftig auf die Rekrutierung Minderjähriger als Soldatinnen und Soldaten verzichten und den sogenannten „Straight 18-Standard“ einhalten – so wie es schon über 150 Staaten weltweit tun, darunter 23 NATO-Staaten und 21 EU-Länder.“

Das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen bei der Bundeswehr“ wird getragen von verschiedenen Organisationen und Zusammenschlüsse aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaften. Es fordert die Anhebung des Rekrutierungsalters für den Militärdienst auf 18 Jahre sowie ein Verbot jeglicher Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen.

Kontakte:
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel. 0541-7101-108
Stephan Fegers, IPPNW, sfegers@web.de

Die Trägerorganisationen des Bündnisses „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr finden Sie hier.

Hier finden Sie die Pressemitteilung als PDF.

Bonn/Stuttgart, 10.02.2022 Trotz Kritik aus dem In- und Ausland hat die Bundeswehr auch weiterhin unter 18-Jährige als Soldat*innen rekrutiert.

1.239 Minderjährige haben im vergangenen Jahr ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, was einem Anteil von 7,4 Prozent aller Rekrutierungen entspricht. Dies geht aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine schriftliche Frage des Linken-Abgeordneten Ali Al-Dailami hervor.

Das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ kritisiert diese hohe Zahl. „Nach wie vor bewegen wir uns auf einem skandalös hohen Niveau, und es ist sehr bedauerlich, dass 2021 sogar noch mehr unter 18-Jährige eingestellt wurden als im Vorjahr“, sagt Sarah Fontanarosa, Sprecherin des Bündnisses.

Das Bündnis verweist auf immer wieder vorkommende schwere Kinderrechtsverletzungen in der Bundeswehr, die UN-Kinderrechtskonvention sowie auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags, die Deutschland wiederholt empfohlen haben, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben.

„Wir fordern die neue Bundesregierung auf, die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag schnell umzusetzen und das Mindestalter für die Rekrutierung als Soldat*in im Soldatengesetz und im Wehrpflichtgesetz auf 18 Jahre anzuheben“, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes, Sprecher von „Unter 18 Nie“. „Anschließend sollte Deutschland eine schriftliche Erklärung an die Vereinten Nationen senden, in der es als Vertragsstaat des Zusatzprotokolls Kinder in bewaffneten Konflikten der UN-Kinderrechtskonvention erklärt, dass für die Rekrutierung als Soldat*in in Deutschland künftig die 18-Jahresgrenze gilt. Erst dann wird endlich auch Deutschland zu den weltweit über 150 Ländern gehören, die den internationalen Straight 18-Standard einhalten.“

Das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen bei der Bundeswehr“ wird getragen von verschiedenen Organisationen und Zusammenschlüsse aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und der Gewerkschaften. Es fordert die Anhebung des Rekrutierungsalters für den Militärdienst auf 18 Jahre sowie ein Verbot jeglicher Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen.

Kontakte:
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel. 0541-7101-108

Berlin/Bonn/Stuttgart, den 24.11.2021. Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag
angekündigt: „Ausbildung und Dienst an der Waffe bleiben volljährigen Soldatinnen und Soldaten
vorbehalten“. Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ begrüßt diese
Aussage der neuen Bundesregierung. „Wir gehen jetzt davon aus, dass unsere Forderung, künftig nur
noch Volljährige als Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr zu rekrutieren, endlich erfüllt wird“,
sagt Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte vom Kinderhilfswerk terre des hommes und Sprecher der
Kampagne „Unter 18 Nie“. „Darauf haben wir viele Jahre hingearbeitet und Überzeugungsarbeit
geleistet, damit Kinderrechtsverletzungen bei der Bundeswehr gestoppt werden und Deutschland
endlich den internationalen Straight-18-Standard erfüllt – so wie schon über 150 andere Länder.
Wichtig ist: In der Umsetzung von Straight 18 darf es keine Hintertüren geben. Verträge oder
Vorverträge, die eine sofortige oder spätere Verwendung als Soldat*in vorsehen und die bei
Minderjährigen bisher von den Erziehungsberechtigten unterschrieben wurden, dürfen künftig nur
noch von Volljährigen selber unterzeichnet werden.“

Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“, die von zwölf Organisationen
aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaft getragen wird, setzt sich seit
2019 für eine Erhöhung des Rekrutierungsalters auf 18 Jahre ein. Sie verweist auf die Einhaltung der
UN-Kinderrechtskonvention sowie auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die
Kinderkommission des Bundestags, die Deutschland wiederholt aufgefordert haben, das
Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben und Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen zu stoppen.

„In den vergangenen drei Jahren kamen nach Angaben des Verteidigungsministeriums mindestens
acht minderjährige Soldatinnen und Soldaten bei Unfällen zu Schaden, ein minderjähriger Soldat
verübte Suizid und 17 meldeten, dass sie bei der Bundeswehr Opfer sexueller Gewalt geworden seien.
Die Bundeswehr war also kein sicherer Arbeitgeber für Minderjährige, es kam zu schweren
Kinderrechtsverletzungen. Deshalb ist es wichtig, dass künftig nur noch Volljährige Soldaten und
Soldatinnen werden können und Minderjährige damit vor solchen Gefahren geschützt sind“, betont
Susanne Grabenhorst von der Ärzteorganisation IPPNW.

Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr über 15.000 minderjährige Jungen
und Mädchen rekrutiert. Sie wurden gemeinsam mit Erwachsenen militärisch an der Waffe zu
Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, es kam zu zahlreichen Skandalen und Schädigungen.

Kontakt:
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108,
Dr. Stephan Fegers, IPPNW Deutschland, sfegers@web.de, Tel: 0160-7259065
Michael Schulze von Glaßer, DFG-VK, svg@dfg-vk.de, Tel: 0176-23575236
Wolfgang Buff, Verein für Friedensarbeit im Raum der EKD, friedensbildung@t-online.de, Tel: 0163-
3670012

Friedensinitiativen, Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen der Kampagne „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ fordern die Parteien auf, bei den Koalitionsverhandlungen sicherzustellen, dass künftig nur noch Volljährige ihren Dienst als Soldat oder Soldatin der Bundeswehr antreten dürfen.


Berlin, den 02.11.2021. „Wir haben in den vergangenen Jahren mit vielen Politikerinnen und Politikern aller demokratischen Parteien im Bundestag gesprochen, auch mit SPD, Grünen und FDP“, sagt Sarah Fontanarosa, Sprecherin der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“, in der u.a. die Kinderrechtsorganisation terre des hommes, pax christi und die Bildungsgewerkschaft GEW organisiert sind. „Die Grünen stehen seit langem für eine Anhebung des Rekrutierungsalters, die SPD-Fraktion hat bereits 2017 beschlossen, den Dienst an der Waffe bei der Armee erst ab dem 18. Lebensjahr zu erlauben, und auch bei der FDP haben sich Menschenrechts- und Verteidigungspolitikerinnen dafür ausgesprochen, keine Minderjährigen mehr als Soldatinnen und Soldaten zuzulassen – dies gilt es jetzt umzusetzen.“


Michael Schulze von Glaßer, Sprecher*in der Kampagne „Unter 18 Nie“ und politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, unterstreicht dies: „Seit Aussetzung der Wehrpflicht hat die Bundeswehr 14.589 Minderjährige als Soldatinnen und Soldaten an der Waffe ausgebildet und es kam in der Folge zu schweren Kinderrechtsverletzungen in der Armee – wir fordern die künftigen Regierungsparteien auf, den Kindesschutz sicherzustellen, indem sie den Dienst in der Armee nur noch für Erwachsene zulassen.“


Mit einer Anhebung des Rekrutierungsalters würde Deutschland auch einer Forderung der Vereinten Nationen nachkommen: Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hatte die Bundesrepublik als Unterzeichnerin der UN-Kinderrechtskonvention bereits 2008 und 2014 dazu aufgefordert, keine Minderjährigen mehr in der Armee zuzulassen. 2016 schloss sich die Kinderkommission des Bundestags dieser Forderung an.


Kontakt:
Michael Schulze von Glaßer, DFG.VK, svg@dfg-vk.de, Tel: 0176-23575236
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108

Kurz vor der Wahl am Sonntag haben wir von der SPD Rückmeldung auf unsere Wahlprüfsteine bekommen:

Wird Ihre Partei sich für die Anhebung des Bundeswehr-Rekrutierungsalters auf 18 Jahre einsetzen – wie es vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und von der Kinderkommission des Deutschen Bundestages gefordert wird?

Die SPD unterstützt die Forderung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages, das Mindestalter für den Diensteintritt als Soldat oder Soldatin auf 18 Jahre anzuheben. Wir wollen, dass alle Ausbildungskonzepte der Bundeswehr den Verpflichtungen des Zusatzprotokolls der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werden. Deswegen stellen wir klar, dass noch nicht Volljährige Schulabsolventen zwar eine Ausbildung in Form eines zivilen Beschäftigungsverhältnisses bei der Wehrverwaltung der Bundeswehr absolvieren können. Ein militärisches Dienstverhältnis aber erst mit Volljährigkeit und auch nur nach einer erneuten Verpflichtung geschlossen werden kann.

Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass Militärwerbung bei Minderjährigen gesetzlich verboten wird – wie es auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Deutschen Bundestages fordern?

Wir wollen, dass die Bundeswehr als Parlamentsarmee den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention selbstverständlich gerecht wird. Deshalb werden schon jetzt die Werbemaßnahmen der Bundeswehr regelmäßig vom Parlament überprüft, ob sie irreführend, manipulativ oder verklärend einen nicht realitätsbasierten und deshalb falschen Einfluss auf potentielle Bewerberinnen haben. Das gilt natürlich ganz besonders bezüglich des Adressatenkreises der Schulabgängerinnen, die noch nicht volljährig sind. Auch dieser Punkt gehört zum wichtigen Kontrollrecht der Bundestagsmitglieder gegenüber der Bundesregierung. Deshalb müssen alle Werbemaßnahmen besondere Rücksicht auf noch nicht volljährige Schulabsolventinnen nehmen. Dafür achten wir darauf, dass das Berufsbild Soldat / Soldatin realitätsnah und nicht verklärend dargestellt wird.

Wie wollen Sie künftig den Schutz minderjähriger Soldatinnen vor sexuellen Übergriffen, körperlicher und seelischer Gewalt, Unfällen, psychischen Schäden und anderen Risiken der Soldatenausbildung gewährleisten, zu denen die Bundeswehr nach nationalen und internationalen Gesetzen verpflichtet ist?

Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen. Prävention spielt dabei die entscheidende Rolle. Wie in allen Ausbildungsverhältnissen, so gilt das selbstverständlich auch für den Arbeitgeber Bundeswehr. Auch im Hinblick auf die inhärente Gefahrgeneigtheit der Berufsbilder, hat die Bundeswehr eine ganz besondere Verantwortung ihren Auszubildenden gegenüber, wie im allgemeinen auch ihren Angestellten und Soldatinnen. Das wird auch durch besondere Gesetzesgrundlagen deutlich, die speziell für die Bundeswehr gelten (z. B. die Zentrale Dienstvorschrift, das Soldaten-, Wehrstrafgesetz). Verstöße gegen Rechtsnormen sind disziplinar und auch strafrechtlich zu verfolgen und zu ahnden. Zugleich kontrolliert auch hier der Deutsche Bundestag im Rahmen der parlamentarischen Arbeit und mit der Wehrbeauftragten die Ausbildungs-, Arbeits- und Dienstbedingungen der Bundeswehr.
Die SPD will aber noch nicht volljährige Auszubildende noch besser schützen:
– die zusätzliche Dienstverpflichtung erst zum Zeitpunkt der Volljährigkeit, um die Freiwilligkeit der Rekrutierung sicherzustellen.
– die Benennung und Schulung von speziellen Ansprechpartnerinnen und dienstlichen Vorgesetzten für die Interessen von minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten. – die getrennte Unterbringung von Minderjährigen und Volljährigen in Einrichtungen der Bundeswehr. die Erstellung einer wissenschaftlichen Untersuchung, die speziell die Situation sowie Erfahrungen minderjähriger Rekrutinnen und Rekruten und die Risiken wie Traumatisierung analysiert.


Wird Ihre Partei dafür sorgen, dass Daten zur Lage minderjähriger Soldat*innen (zu sexuellem Missbrauch, Unfällen, Gesundheit, politischem Extremismus, Kündigung) in der Bundeswehr künftig mindestens einmal im Jahr ausgewertet und veröffentlicht werden?

Die Bundeswehr unterliegt einer breiten Berichtspflicht gegenüber dem Parlament und damit gegenüber der Öffentlichkeit. In diesen Berichten ist insbesondere bei Meldungen über Verstöße gegen Dienstpflichten oder bei einem Verdacht einer Straftat standardmäßig zu erfassen, ob Minderjährige betroffen beziehungsweise beteiligt sind. Im Jahresbericht der Wehrbeauftragten werden diese Zahlen jährlich der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, eine öffentliche Debatte des Berichtes erfolgt im Parlament. Anlassbezogen lässt sich die SPD-Bundestagsfraktion zusätzliche Berichte des Verteidigungsministeriums vorlegen. Zugleich besuchen unsere Abgeordneten die Truppe in den Kasernen und schaffen sich ein persönliches Bild von den Situationen vor Ort. Aus Sicht der SPD ist mit den bestehenden Berichtspflichten und den parlamentarischen Kontrollinstrumenten bereits heute eine vielschichtige und transparente Datenlage geschaffen.

Berlin, Frankfurt a.M. – Anlässlich des Weltkindertages am 20. September hat das Bündnis „Unter 18 Nie“ die Bundesregierung aufgefordert, die Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr sofort zu stoppen. Es legte hierzu Interviews mit minderjährigen Soldaten sowie ein brisantes und bisher unveröffentlichtes Dokument des Verteidigungsministeriums vor, das die Gefährdung des Kindeswohls Minderjähriger in der Bundeswehr belegt. Zugleich kündigte das Bündnis an, diese Dokumente dem Ausschuss für die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen zu melden.


„Die Daten aus dem Verteidigungsministerium belegen, dass 17-jährige Mädchen und Jungen als Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr hohe Risiken haben und körperliche sowie seelische Schäden erleiden“, sagt Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte des Kinderhilfswerks terre des hommes und Sprecher der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“. „In den vergangenen drei Jahren waren mindestens 17 minderjährige Soldatinnen und Soldaten Opfer sexueller Gewalt, mindestens acht kamen bei Unfällen zu Schaden und ein minderjähriger Soldat verübte Suizid. Fast jeder vierte Soldat der Bundeswehr ohne Einsatzerfahrung leidet unter psychischen Erkrankungen. Dadurch, dass die Bundesregierung weiter die Rekrutierung von Jugendlichen als Soldatinnen und Soldaten erlaubt, ist sie auch für diese Risiken und Schäden verantwortlich. Es handelt sich hierbei um schwere Kinderrechtsverletzungen und gravierende Verstöße gegen die UN-Kinderrechtskonvention.“


„Es ist nicht akzeptabel, dass Jugendliche als Soldatinnen und Soldaten eingestellt und in der Bundeswehr hohen Risiken ausgesetzt werden und es noch nicht mal besondere Schutzmaßnahmen für sie gibt“, sagt Martina Schmerr, Referentin im Organisationsbereich Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Sprecherin von „Unter 18 Nie“. „In Schulen und Bildungseinrichtungen gibt es inzwischen strenge Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Derselbe Maßstab muss auch in der Bundeswehr angelegt werden. Stattdessen werden Jugendliche ohne jeden Schutz mit Erwachsenen zusammen untergebracht, sie erhalten dasselbe gefährliche militärische Training und haben keine speziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. In einem Drittel der Fälle sexueller Gewalt, die minderjährige Soldatinnen und Soldaten in den vergangenen drei Jahren erleiden mussten, stehen Vorgesetzte unter Tatverdacht – dies deutet auf Machtmissbrauch und ein systemisches Problem bei der Bundeswehr hin. Und es macht sehr deutlich: Die Bundeswehr ist kein Ort für Kinder und Jugendliche.“


„Wir werden diese neuen besorgniserregenden Daten dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes melden, der bis Mitte 2022 überprüft, wie Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention umsetzt“, erklärt Willinger. „Der UN-Ausschuss fordert die Bundesregierung schon seit 2008 auf, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben – eine Aufforderung, die bisher von der Bundesregierung ignoriert wird mit dem Verweis auf eine Ausnahmeregelung für staatliche Armeen in einem Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention. Diese Regelung kann allerdings nur dann greifen, wenn alle Kinderrechte der Konvention eingehalten werden – dass dies bei der Bundeswehr nicht der Fall ist, wurde vielfach belegt* und wird jetzt durch die neuen Daten wieder bestätigt. Die Haltung der Bundesregierung ist rückständig – denn nur noch wenige Staaten weltweit nutzen die Ausnahmeregelung, mehr als dreiviertel aller Staaten rekrutieren junge Menschen frühestens, wenn sie volljährig sind. Die nächste Bundesregierung muss hier dringend handeln und das Rekrutierungsalter für Soldatinnen und Soldaten endlich auf 18 Jahre erhöhen.“

Info: Die Daten, auf die in der Pressemitteilung der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ Bezug genommen wird, stammen aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich.


Die Interviews mit minderjährigen Bundeswehrsoldaten der Journalistin Leoni Gau zeigen Beispiele, wie die Bundeswehrwerbung auf Jugendliche wirkt, was passiert, wenn junge Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr trotz Vertrags wieder verlassen wollen, wie sie der Umgangston und der Militärdienst belasten und dass dies zu schweren psychischen Problemen führen kann. Hier kommen Sie zu Interview 1, 2 und 3.


*Schattenbericht Kindersoldaten 2007, 2013, 2019, 2020 (offizielle Dokumente im UN-Staatenberichtsverfahren zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention durch Deutschland)
*Studie „Why 18 matters – eine Analyse der Rekrutierung von Kindern“ (2019).
Die Interviews und das Dokument aus dem Verteidigungsministerium finden Sie unter „Weitere Dokumente“ und die genannten Studien unter „Publikationen“ auf der Webseite:
www.unter18nie.de/materialien-publikationen-dokumente/


Kontakt:
Martina Schmerr, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Martina.Schmerr@gew.de, Tel: 069-78973-322
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108
Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ setzt sich seit 2019 dafür ein, dass das Rekrutierungsalter der Bundeswehr auf 18 Jahre angehoben und Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen verboten wird. Sie wird getragen von einem breiten Bündnis von Organisationen aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaft.
Trägerorganisationen der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr!“:
Kontakt für die Gesamtkampagne: Sarah Fontanarosa (Campaignerin) info@unter18nie.de Tel: 0176/64248443
www.unter18nie.de

Die Welt, 02. September 2021, Sabine Menkens und Leoni Gau

Zwischen sieben und neun Prozent aller neuen Rekruten sind beim Dienstantritt noch minderjährig. Ihre Erwartungen sind oft hoch – die Abbrecherquoten auch. Mehr als ein Viertel hört schon in der Probezeit auf. Die Gründe sind vielfältig. Drei junge Männer erzählen.

Wenn Max M. sagen soll, was ihn daran gereizt hat, als 17-Jähriger nach dem Schulabschluss bei der Bundeswehr anzuheuern, fällt ihm als Erstes etwas Profanes ein: das sichere Geld. „Das war auch etwas, das meine Mutter die ganze Zeit betonte. Du hast jetzt acht Jahre einen sicheren Job. Das ist super. Mach das.“

Schon sein Vater und sein Onkel seien bei der Bundeswehr gewesen, erzählt M. – dass er es ihnen nachtat, habe sich
folgerichtig angefühlt. Auch für sich persönlich erhoffte er sich einiges von der Armeezeit: „Ich dachte, dass das Leben jetzt richtig anfängt und ich dort zum Mann werde.“
Eine Erwartung, die schnell enttäuscht wurde, als er nach der dreimonatigen Grundausbildung zum Sanitätsdienst kam. „Meine Einheit war dafür zuständig, den ganzen Tag lang Quarantäne-Zelte auf- und wieder abzubauen. Ich wollte aber Sanitäter werden und kein Materialbeauftragter, der in der Logistik arbeitet. Ich fühlte mich betrogen“, sagt Max M. Sein Problem anzusprechen, wagte er nicht. Stattdessen setzte er sich zu seiner Großmutter nach Berlin ab – um kurz darauf von
Feldjägern wieder zurück in die Kaserne eskortiert zu werden. Nach der zweiten Fahnenflucht musste M. für zwei Wochen in die Arrestzelle. „Es war ziemlich krass. Ich hatte nichts, kein Fernsehen, kein Handy. Das Einzige, das in dieser Zelle lag, war eine Bibel, die mich eigentlich überhaupt nicht interessierte.
Trotzdem las ich sie in dieser Zeit zwei Mal durch.“ Einen Monat später verließ Max M. die Bundeswehr vorzeitig.
Ein Schritt, den überdurchschnittlich viele jung rekrutierten Soldaten gehen. Das zeigen Zahlen aus dem Bundesver-teidigungsministerium, die der CDU-Abgeordnete Frank Heinrich erfragt hat und die WELT vorliegen. Gerade unter den minderjährigen Rekruten sind die Abbrecherzahlen hoch.
Im Jahr 2019 etwa wurden 1705 junge Männer und Frauen unter 18 Jahren eingestellt; 467 gaben ihren Dienst bereits
in der sechsmonatigen Probezeit auf. Ähnlich ungünstig war das Verhältnis in den Jahren zuvor. 2018 gab es 464 Probezeit-Kündigungen unter den 1679 minderjährig eingestellten Rekruten; 2017 war das Verhältnis 584 zu 2126, im Jahr zuvor 588 zu 1910 und im Jahr 2015 444 zu 1511. Im Corona-Jahr 2020 wurden insgesamt weniger minderjährige Rekruten eingestellt; von den 1148 Neuanfängern gaben 236 in den ersten sechs Monaten auf.
Doch auch nach den sechs Monaten Probezeit bleibt die Abbrecherquote hoch, wie es in dem unter anderem von der Kinderrechteorganisation Terres des hommes herausgegebene „Schattenbericht Kindersoldaten 2019“ heißt.

Demnach verlässt sogar der Großteil der minderjährig rekrutierten Soldaten die Bundeswehr vor Ablauf der regulären Dienstzeit. „Aus unserer Sicht ist das eine Lose-lose-Situation, sowohl für die jungen Menschen als auch für die Bundeswehr, die erhebliche Ressourcen in die Ausbildung steckt“, sagt Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte bei Terre des hommes und Sprecher der Kampagne „Unter 18 nie! – Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“.
Die Einstellung Minderjähriger bei der Bundeswehr ist seit Jahren umstritten. Nach einem Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention gilt für die Streitkräfte eigentlich ein Mindestalter von 18 Jahren. Die Bundeswehr macht allerdings wie einige der 171 Vertragsstaaten von der Ausnahmeregelung Gebrauch, auch schon 17-jährige Freiwillige zu Ausbildungszwecken zu rekrutieren – wenn die Eltern zustim- men. Die Jugendlichen dürfen zwar nicht in kriegerischen Konflikten oder im bewaffneten Wachdienst eingesetzt werden, erhalten aber eine herkömmliche militärische Ausbildung. Inzwischen sind zwischen sieben und neun Prozent der neuen Rekruten beim Dienstantritt minderjährig.
„Mit einer umfassenden Aufklärung und Beratung zu den Chancen und Risiken des Soldatenberufs und einem intensiven, wissenschaftsbasierten und eignungsdiagnostischen Assessment-Verfahren stellt die Bundeswehr darüber hinaus sicher, dass nur 17-Jährige eingestellt werden, die sich eingehend mit den Anforderungen des Soldatenberufs auseinandergesetzt haben und die erforderliche Eignung aufweisen“, teilt das Verteidigungsministerium mit.

Dass das nicht in jedem Fall gelingt, zeigt das Beispiel des heute 19 Jahre alten Janne M. Schon in der achten Klasse hatte er sich für eine Laufbahn bei der Bundeswehr entschieden – animiert durch die YouTube-Werbeserie „Die Rekruten“. Mit sechzehneinhalb sprach er beim Karrierecenter der Bundeswehr vor. Dass die Entscheidung verfrüht sein könnte, kam ihm damals nicht in den Sinn. „Stattdessen dachte ich: Wenn ich jetzt zur Bundeswehr gehe, habe ich starke Aufstiegschancen und kann richtig Karriere machen, weil ich noch so jung bin.“ Letzten Endes aber warf Janne M. bereits nach einer Woche in der Probezeit hin. „Jeden Morgen war ich nervös vor dem Tag, hatte Bauchschmerzen und konnte nichts essen — immer mit dem Gedanken im Kopf, gleich wieder angeschrien zu werden. Außerdem konnte ich durch diese Grundanspannung nicht mehr richtig schlafen. Ich wusste, dass ich funktionieren muss, und hatte Angst, es nicht zu tun.“
Inzwischen hat Janne M. ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und beginnt demnächst eine Ausbildung. Die psychischen Belastungen im Militärdienst sind durchaus hoch; auch das geht aus den Antworten des Verteidigungsministeriums auf die Fragen des Abgeordneten Heinrich hervor. Das Ressort verweist auf eine epidemiologische Feldstudie des Psychotraumazentrums (PTZ) sowie der Technischen Universität Dresden, in der zwischen 2009 und 2013 Prävalenzraten psychischer Erkrankungen in der Bundeswehr erhoben worden waren. „Dabei ergab sich eine 12-Monatsprävalenz psychischer Erkrankungen von ber 20 Prozent sowohl bei Einsatzteilnehmenden (21,4 Prozent), als auch bei Soldatinnen und Soldaten ohne Einsatz (22,5 Prozent)“, heißt es in der Antwort.
„Das Inanspruchnahmeverhalten spezifischer Therapie war dabei gering (10-20 Prozent) und belegt somit eine hohe Dunkelziffer, der die Bundeswehr mit Aufklärungskampagnen und niederschwelligen Hilfsangeboten intensiv begegnet.“ Ein fortlaufendes Ansteigen der Fallzahlen sei daher als positiver Effekt dieser Bemühungen zu werten. Alerdings verzeichnete die Bundeswehr zwischen 2018 und 2020 auch 167 Suizidversuche sowie 50 vollendete Suizide; unter letzteren Fällen war eine minderjährige Person.
Zudem gab es im Zeitraum 2018-2020 insgesamt 848 Verdachtsmeldungen in der Kategorie „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ oder sonstige Formen sexueller Belästigung, wie das Verteidigungsministerium mitteilt. In 17 dieser Verdachtsmeldungen wurden minderjährige Soldatinnen oder Soldaten als Betroffene geführt; in fünf dieser Verdachtsfälle richtete sich der Anfangsverdacht gegen Vorgesetzte der möglicherweise betroffenen Minderjährigen.
„Die Daten belegen ein großes Ausmaß an Risiken und Schäden, denen minderjährige Soldatinnen und Soldaten ausgesetzt sind und zeigen sehr deutlich, dass auch die Bundeswehr – wie alle Armeen – kein Ort für Minderjährige ist und die Rekrutierung Minderjähriger dringend gestoppt werden muss“, fordert Kinderrechtsexperte Willinger.
Auch Sebastian S. hatte bei der Bundeswehr mit psychischen Problemen zu kämpfen. Er hatte sich von ansprechender Werbung zur Truppe locken lassen: „Die Kampagne war stark auf dieses Abenteuerliche, Wilde ausgelegt. Sie
vermittelte dir, dass du als Soldat absolut männlich und kämpferisch sein würdest. Damals sagte mir das zu.“ Die Grundausbildung sei auch eine „wirklich schöne Zeit“ gewesen, sagt S. Dann aber folgte der Alltag in einer Kaserne „im Nirgendwo mitten im Wald“. Ein, zwei Stunden am Tag habe er etwas zu tun. „Den Rest des Tages hing ich nur rum.“ Eine Perspektivlosigkeit, die S. als belastend empfand. Ebenso wie die strengen Hierarchien und den herablassenden Umgangston. Mental und körperlich sei es ihm im Laufe der Zeit immer schlechter gegangen, bis im Frühjahr dieses Jahres die Einweisung ins Bundeswehrkrankenhaus kam. „Dort wurde festgestellt, dass ich eine durch Stress ausgelöste Vorstufe von Schizophrenie entwickelt habe.“ Mithilfe von Medikamenten hat S. seine psychischen Probleme inzwischen in den Griff bekommen. Auch seine vierjährige Dienstzeit will er noch beenden. Der Preis, den er gezahlt habe, sei hoch gewesen, sagt S. Aber er habe auch viel über sich gelernt. „Ich bereue die Entscheidung nicht.“