„Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher“ – Interview mit Max M.
Max M. war 17, als er zur Bundeswehr ging. Nach eineinhalb Jahren haute er ab. Ein Gespräch über seine Motivation, Soldat zu werden und die Gründe, wieso er die Bundeswehr verließ.
Was hat dich dazu bewegt, zur Bundeswehr zu gehen?
Meine Eltern haben mich beeinflusst. Mein Onkel und mein Vater waren selbst dort. Nach der Schule musste ich mich für einen Weg entscheiden. Ich hatte nie das Gefühl, etwas für Deutschland tun zu müssen. Ich war bei der Bundeswehr wegen meiner Eltern und wegen des Geldes.
Die Bundeswehr als sicherer Arbeitgeber?
Ja. Das war auch etwas, das meine Mutter die ganze Zeit betonte. Du hast jetzt acht Jahre einen sicheren Job. Das ist super. Mach das. Als 17-Jähriger bin ich dann direkt nach der Schule zur Bundeswehr. Für mich war es weder ein Beruf, noch eine Berufung, sondern vielmehr ein Sprungbrett. Finanziell hat es sich auf jeden Fall gelohnt. Ich hatte keine Ausgaben, keine Wohnung, kein Auto — Dinge, die ich sonst hätte finanzieren müssen.
Wärst du auch zur Bundeswehr gegangen, hättest du erst mit 18 Jahren rekrutiert werden können?
Das wäre darauf angekommen, was ich in dem Jahr gemacht hätte. Hätte ich das ganze Jahr nur zu Hause rumgesessen und gewartet, dass ich 18 werde, dann bestimmt. Es war auch ein gewisser Druck hinter der Entscheidung, denn alle aus meiner Schule haben ihr Leben nach dem Abschluss geplant und ich stand bis zum Ende da und wusste einfach nicht, was ich machen will.
Wie hat dein Umfeld auf deine Entscheidung, zur Bundeswehr zu gehen, reagiert?
Ein paar meiner Freunde haben es nicht verstanden. Aber ich konnte mir auch selber gar nicht vorstellen, was man jetzt genau bei der Bundeswehr macht. Ich hätte es mir auch viel krasser vorgestellt. Ich hatte die ganze Zeit im Kopf, wie es in den USA abläuft. Ich dachte, dass das Leben jetzt richtig anfängt und ich dort zum Mann werde.
Das hat sich nicht bestätigt?
Überhaupt nicht. Nach den drei Monaten Grundausbildung habe ich beim Sanitätsdienst begonnen. Meine Erwartung war, im Sanitätsdienst auch als Sanitäter zu arbeiten. Doch meine Einheit war dafür zuständig, den ganzen Tag lang Quarantänezelte auf- und wieder abzubauen. Ich wollte Sanitäter werden und kein Materialbeauftragter, der in der Logistik arbeitet. Ich fühlte mich betrogen.
Hast du dieses Problem angesprochen?
Ich traute mich nicht. Meine Art damit umzugehen, war, dem Dienst fernzubleiben. Ich meldete mich weder krank, noch sprach ich jemanden an. Das fühlte sich zu diesem Zeitpunkt wie ein guter Weg an. Ich fuhr dann zu meiner Oma nach Berlin und hielt mich dort auf — mit der Geschichte eines Kameraden im Ohr, man würde von den Feldjägern geholt werden, wenn man Fahnenflucht begehe. Ich dachte, das wäre völliger Blödsinn. Und doch fuhr ich eines Abends mit einem mulmigen Gefühl zu einem Freund. Als ich am nächsten Tag nach Hause kam und duschen ging, hörte ich plötzlich die Haustür aufgehen, dann viele Schritte. Da standen sie dann zu fünft, solche Zwei-Meter-Typen. Feldjäger, die Polizei der Bundeswehr.
Was passierte dann?
Sie brachten mich zu ihrem Stützpunkt und steckten mich in eine Zelle. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher. Später wurde ich zurück nach Bayern eskortiert und bekam erst einmal Ärger.
Wie ist der Ärger ausgefallen?
Zunächst relativ leicht, da erst der dritte Versuch zivilrechtlich geahndet wird. Dummerweise haute ich zwei Wochen danach wieder ab. Ich wartete wieder und sie holten mich. Dieses Mal musste ich am nächsten Tag jedoch zu einem Offizier, der mir direkt verkündete, dass ich für zwei Wochen in die Zelle muss. Dann ging alles ganz schnell. Der Leutnant redete mit mir, machte ein Telefonat und dann ging es sofort in die Zelle.
Wie waren die zwei Wochen in der Zelle?
Es war ziemlich krass. Ich hatte nichts, kein Fernsehen, kein Handy. Das einzige, das in dieser Zelle lag, war eine Bibel, die mich eigentlich überhaupt nicht interessierte. Trotzdem las ich sie in dieser Zeit zwei Mal durch. Ich hatte eine Stunde Freigang, nutzte sie aber nicht. Ich streikte und ging auch nicht zum Essen. Ich nahm mir morgens immer ein Brötchen mit auf die Zelle. Das war’s.
Ich schlief am Tag und lag wach in der Nacht. Das war schlimm. Das einzige Fenster war sehr weit oben, so dass ich den Tisch darunterstellte, um wenigstens etwas rausgucken zu können. Die Wärter kamen immer wieder und durchsuchten meine Zelle. Ich durfte zum Beispiel keine Schnürsenkel besitzen. Ich schrieb meiner Mutter, da ich zu wenig Unterhosen hatte. Ich bekam ein Paket und einen Brief von ihr. Die zwei Wochen waren für mich die schlimmste Zeit bei der Bundeswehr.
Wie ging es nach den zwei Wochen weiter? Konntest du die Bundeswehr direkt verlassen?
Nein, leider nicht. Ich kam an einem Mittwochmorgen raus und musste direkt meinen Dienst antreten. Es verging ein halbes Jahr von dem Tag, an dem ich zum ersten Mal äußerte, dass ich die Bundeswehr verlassen will und dem Tag, an dem ich unterschrieb, dass meine Zeit dort zu Ende war — etwa einen Monat nach meiner Entlassung aus der Zelle.
Danach blickte ich noch negativer auf meine Zeit in der Bundeswehr zurück. Ich wollte Sanitäter werden und habe nichts in dieser Richtung machen können. Und auch in Bayern wollte ich nicht sein. Kurz bevor ich in meine Stammeinheit kam, lernte ich zu Hause in Berlin meine Freundin kennen. Das war alles zu viel für mich. Ich war an jedem Wochenende, das ich in Berlin verbrachte, tausendmal glücklicher als in Bayern. Ich lebte nur für das Wochenende.
Interview: Leoni Gau