„Die Bundeswehr ist kein Abenteuerspielplatz“ – Interview mit Sebastian S.

Sebastian S. ist mit 17 Jahren zur Bundeswehr gegangen. In unserem Gespräch erzählt er von den mentalen Auswirkungen, die seine Entscheidung mit sich brachten.

Du bist mit 17 Jahren zur Bundeswehr gegangen. Warum?

Ich war in der 10. Klasse am Ende meiner regulären Schulzeit angelangt und hatte keine Lust mehr auf Schule, wusste aber auch nicht, was ich arbeiten wollte. Ich spielte schon immer mit dem Gedanken, zur Polizei zu gehen. Das traute ich mir aber nicht zu. Zu diesem Zeitpunkt lief damals eine riesige Kampagne der Bundeswehr, die ich mit meinen 17 Jahren sah und mir dachte, warum nicht zur Bundeswehr gehen, ein bisschen Abenteuerspielplatz erleben.

Hast du so die Kampagne der Bundeswehr wahrgenommen?

Absolut. Sie brachten quasi Comics. Die Kampagne war stark auf dieses Abenteuerliche, Wilde ausgelegt. Sie vermittelten dir, dass du als Soldat absolut männlich und kämpferisch sein würdest. Damals sagte mir das zu. Ich bewarb mich und wurde angenommen.

Wie war das Auswahlverfahren?

Ursprünglich wollte ich eine Unteroffizierslaufbahn als Feldwebel machen. Dafür hielt mich die Bundeswehr jedoch zu jung. Gleichzeitig boten sie mir eine Mannschafter-Laufbahn an. Ich konnte mich für eine Verpflichtung auf vier oder acht Jahre entscheiden und nahm natürlich die vier Jahre, obwohl sie mich von den acht Jahren überzeugen wollten.

Spielte die finanzielle Absicherung eine Rolle für dich?

Auf jeden Fall. Mir war bewusst, dass ich sehr gut davon leben und Geld sparen kann. Ich wusste von vornherein, dass mir die vier Jahre zeigen werden, ob ich Soldat bleiben oder etwas anderes machen möchte. Ich sah die Möglichkeit, mich in den nächsten Jahren selbst zu finden.

Was waren deine ersten Eindrücke in der Bundeswehr?

Meine dreimonatige Grundausbildung, die ich in Sachsen absolvierte. Das war eine wirklich schöne Zeit. Es gab viel zu tun und es war körperlich sehr anstrengend. Dadurch, dass diese drei Monate wirklich fordernd waren, wuchs ich auch mit den anderen Soldaten zusammen. Ich blicke gerne auf diese Zeit zurück.

Sahen so deine Erwartungen an deine Zeit bei der Bundeswehr aus?

Ja, denn die Grundausbildung hatte dieses Abenteuerliche. Ich wusste zwar, dass es danach ruhiger werden würde. Und dennoch, in meiner Stammeinheit kam schnell der Bundesalltag, der mich zurück in die Realität holte und mich merken ließ, dass hier vor allem Nichtstun auf der Tagesordnung steht.

In meiner neuen Kaserne, die im Nirgendwo mitten im Wald lag, wartete erst einmal nur der Telefonposten auf mich. Diese Arbeit mussten alle neuen Soldaten übernehmen. Somit hatte ich für ein, zwei Stunden am Tag etwas zu tun. Den Rest des Tages hing ich nur rum.

Aber wie sah dann so ein Tag in der Kaserne aus?

Man lag einfach im Bett und machte gar nichts. Klar, manchmal gab es Aufgaben wie „räumt den Keller auf“, „fegt das und das“ oder „beladet die Panzer“, aber abgesehen davon verbrachten wir die meiste Zeit nur auf dem Zimmer und machten nichts.

Das ist auch ein Grund für den massiven Alkoholmissbrauch in der Truppe. Aufgrund der Langeweile finden regelmäßige Besäufnisse statt. Viele Soldaten sind unzufrieden und das schlägt sich auch auf den Arbeitsalltag nieder, sodass man mit weniger Motivation an die Arbeit geht und hier und da kleine Verstöße begeht, die einem das Leben etwas erleichtern. Teilweise war die Luft wirklich so dick, dass man sie hätte greifen können.

Wie war der Zusammenhalt in der Kameradschaft? Wurdest du gut integriert?

Ich wurde gut aufgenommen, weil ich mich in der ersten Zeit sehr anpasste. Will man diese Kameradschaft wirklich spüren, dann muss man sich anpassen. Irgendwann habe ich jedoch meinen eigenen Kopf entwickelt.

Spielten Hierarchien eine Rolle?

Die Hierarchien waren bei den Dienstgraden massiv spürbar. Zwischen Mannschaftern und Feldwebel-Unteroffizieren gab es ein starkes Gefälle. Die Offiziere waren die absoluten Götter, die Unteroffiziere Halbgötter und die Mannschafter standen ganz unten.

Hatte das Auswirkungen auf dich?

Gerade psychisch gesehen war das eine schwere Belastung. Zum einen aufgrund des Miteinanders der Dienstgrade, zum anderen aufgrund der Perspektivlosigkeit durch das Nichtstun.

Hast du eine psychologische Beratung in Anspruch genommen?

Ja. Ich bekam echt Probleme, da es mir mental und körperlich immer schlechter ging, was sich auch auf meine Leistung auswirkte. Ich ging zum Arzt, der mich an die Truppenpsychologie verwies. Es wurde zu der Zeit immer schlimmer, bis ich dann ins Bundeswehrkrankenhaus kam. Dort wurde festgestellt, dass ich eine durch Stress ausgelöste Vorstufe von Schizophrenie entwickelt habe. Die habe ich mittlerweile mit Medikamenten im Griff, sodass ich jetzt soweit auch wieder klar im Kopf bin.

Bereust du deine Entscheidung, zur Bundeswehr gegangen zu sein?

Nein. Auf der einen Seite gab es beschissene Zeiten. Auf der anderen Seite habe ich viel über mich selbst gelernt. Ich bildete mir dort eine eigene Meinung. Jetzt weiß ich, was ich machen möchte und was nicht. Wenn meine Zeit bei der Bundeswehr vorbei ist, möchte ich mein Abitur nachholen und auf Lehramt studieren. Die vier Jahre waren eine lange Zeit und sie hatten einen hohen Preis, aber ich bereue die Entscheidung nicht.

Du hast dich verändert und weiterentwickelt während deiner Zeit bei der Bundeswehr. Hat sich denn die Bundeswehr in den vier Jahren verändert?

Nein, gar nicht.

Bist du trotz alledem jemandem aus deiner Zeit dort dankbar?

Meinem besten Freund. Ich habe ihn in der Bundeswehr kennengelernt und wir machen das Gleiche durch. Wir wissen beide, dass der andere leidet und unterstützen uns gegenseitig. Zusammen stehen wir diese Zeit besser durch.

Interview: Leoni Gau