Bonn/Stuttgart, 10.02.2022 Trotz Kritik aus dem In- und Ausland hat die Bundeswehr auch weiterhin unter 18-Jährige als Soldat*innen rekrutiert.

1.239 Minderjährige haben im vergangenen Jahr ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, was einem Anteil von 7,4 Prozent aller Rekrutierungen entspricht. Dies geht aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine schriftliche Frage des Linken-Abgeordneten Ali Al-Dailami hervor.

Das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ kritisiert diese hohe Zahl. „Nach wie vor bewegen wir uns auf einem skandalös hohen Niveau, und es ist sehr bedauerlich, dass 2021 sogar noch mehr unter 18-Jährige eingestellt wurden als im Vorjahr“, sagt Sarah Fontanarosa, Sprecherin des Bündnisses.

Das Bündnis verweist auf immer wieder vorkommende schwere Kinderrechtsverletzungen in der Bundeswehr, die UN-Kinderrechtskonvention sowie auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags, die Deutschland wiederholt empfohlen haben, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben.

„Wir fordern die neue Bundesregierung auf, die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag schnell umzusetzen und das Mindestalter für die Rekrutierung als Soldat*in im Soldatengesetz und im Wehrpflichtgesetz auf 18 Jahre anzuheben“, sagt Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes, Sprecher von „Unter 18 Nie“. „Anschließend sollte Deutschland eine schriftliche Erklärung an die Vereinten Nationen senden, in der es als Vertragsstaat des Zusatzprotokolls Kinder in bewaffneten Konflikten der UN-Kinderrechtskonvention erklärt, dass für die Rekrutierung als Soldat*in in Deutschland künftig die 18-Jahresgrenze gilt. Erst dann wird endlich auch Deutschland zu den weltweit über 150 Ländern gehören, die den internationalen Straight 18-Standard einhalten.“

Das Bündnis „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen bei der Bundeswehr“ wird getragen von verschiedenen Organisationen und Zusammenschlüsse aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und der Gewerkschaften. Es fordert die Anhebung des Rekrutierungsalters für den Militärdienst auf 18 Jahre sowie ein Verbot jeglicher Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen.

Kontakte:
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel. 0541-7101-108

Berlin/Bonn/Stuttgart, den 24.11.2021. Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag
angekündigt: „Ausbildung und Dienst an der Waffe bleiben volljährigen Soldatinnen und Soldaten
vorbehalten“. Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ begrüßt diese
Aussage der neuen Bundesregierung. „Wir gehen jetzt davon aus, dass unsere Forderung, künftig nur
noch Volljährige als Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr zu rekrutieren, endlich erfüllt wird“,
sagt Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte vom Kinderhilfswerk terre des hommes und Sprecher der
Kampagne „Unter 18 Nie“. „Darauf haben wir viele Jahre hingearbeitet und Überzeugungsarbeit
geleistet, damit Kinderrechtsverletzungen bei der Bundeswehr gestoppt werden und Deutschland
endlich den internationalen Straight-18-Standard erfüllt – so wie schon über 150 andere Länder.
Wichtig ist: In der Umsetzung von Straight 18 darf es keine Hintertüren geben. Verträge oder
Vorverträge, die eine sofortige oder spätere Verwendung als Soldat*in vorsehen und die bei
Minderjährigen bisher von den Erziehungsberechtigten unterschrieben wurden, dürfen künftig nur
noch von Volljährigen selber unterzeichnet werden.“

Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“, die von zwölf Organisationen
aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaft getragen wird, setzt sich seit
2019 für eine Erhöhung des Rekrutierungsalters auf 18 Jahre ein. Sie verweist auf die Einhaltung der
UN-Kinderrechtskonvention sowie auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die
Kinderkommission des Bundestags, die Deutschland wiederholt aufgefordert haben, das
Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben und Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen zu stoppen.

„In den vergangenen drei Jahren kamen nach Angaben des Verteidigungsministeriums mindestens
acht minderjährige Soldatinnen und Soldaten bei Unfällen zu Schaden, ein minderjähriger Soldat
verübte Suizid und 17 meldeten, dass sie bei der Bundeswehr Opfer sexueller Gewalt geworden seien.
Die Bundeswehr war also kein sicherer Arbeitgeber für Minderjährige, es kam zu schweren
Kinderrechtsverletzungen. Deshalb ist es wichtig, dass künftig nur noch Volljährige Soldaten und
Soldatinnen werden können und Minderjährige damit vor solchen Gefahren geschützt sind“, betont
Susanne Grabenhorst von der Ärzteorganisation IPPNW.

Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr über 15.000 minderjährige Jungen
und Mädchen rekrutiert. Sie wurden gemeinsam mit Erwachsenen militärisch an der Waffe zu
Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, es kam zu zahlreichen Skandalen und Schädigungen.

Kontakt:
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108,
Dr. Stephan Fegers, IPPNW Deutschland, sfegers@web.de, Tel: 0160-7259065
Michael Schulze von Glaßer, DFG-VK, svg@dfg-vk.de, Tel: 0176-23575236
Wolfgang Buff, Verein für Friedensarbeit im Raum der EKD, friedensbildung@t-online.de, Tel: 0163-
3670012

Friedensinitiativen, Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen der Kampagne „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ fordern die Parteien auf, bei den Koalitionsverhandlungen sicherzustellen, dass künftig nur noch Volljährige ihren Dienst als Soldat oder Soldatin der Bundeswehr antreten dürfen.


Berlin, den 02.11.2021. „Wir haben in den vergangenen Jahren mit vielen Politikerinnen und Politikern aller demokratischen Parteien im Bundestag gesprochen, auch mit SPD, Grünen und FDP“, sagt Sarah Fontanarosa, Sprecherin der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“, in der u.a. die Kinderrechtsorganisation terre des hommes, pax christi und die Bildungsgewerkschaft GEW organisiert sind. „Die Grünen stehen seit langem für eine Anhebung des Rekrutierungsalters, die SPD-Fraktion hat bereits 2017 beschlossen, den Dienst an der Waffe bei der Armee erst ab dem 18. Lebensjahr zu erlauben, und auch bei der FDP haben sich Menschenrechts- und Verteidigungspolitikerinnen dafür ausgesprochen, keine Minderjährigen mehr als Soldatinnen und Soldaten zuzulassen – dies gilt es jetzt umzusetzen.“


Michael Schulze von Glaßer, Sprecher*in der Kampagne „Unter 18 Nie“ und politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, unterstreicht dies: „Seit Aussetzung der Wehrpflicht hat die Bundeswehr 14.589 Minderjährige als Soldatinnen und Soldaten an der Waffe ausgebildet und es kam in der Folge zu schweren Kinderrechtsverletzungen in der Armee – wir fordern die künftigen Regierungsparteien auf, den Kindesschutz sicherzustellen, indem sie den Dienst in der Armee nur noch für Erwachsene zulassen.“


Mit einer Anhebung des Rekrutierungsalters würde Deutschland auch einer Forderung der Vereinten Nationen nachkommen: Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hatte die Bundesrepublik als Unterzeichnerin der UN-Kinderrechtskonvention bereits 2008 und 2014 dazu aufgefordert, keine Minderjährigen mehr in der Armee zuzulassen. 2016 schloss sich die Kinderkommission des Bundestags dieser Forderung an.


Kontakt:
Michael Schulze von Glaßer, DFG.VK, svg@dfg-vk.de, Tel: 0176-23575236
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108

Kurz vor der Wahl am Sonntag haben wir von der SPD Rückmeldung auf unsere Wahlprüfsteine bekommen:

Wird Ihre Partei sich für die Anhebung des Bundeswehr-Rekrutierungsalters auf 18 Jahre einsetzen – wie es vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und von der Kinderkommission des Deutschen Bundestages gefordert wird?

Die SPD unterstützt die Forderung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages, das Mindestalter für den Diensteintritt als Soldat oder Soldatin auf 18 Jahre anzuheben. Wir wollen, dass alle Ausbildungskonzepte der Bundeswehr den Verpflichtungen des Zusatzprotokolls der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werden. Deswegen stellen wir klar, dass noch nicht Volljährige Schulabsolventen zwar eine Ausbildung in Form eines zivilen Beschäftigungsverhältnisses bei der Wehrverwaltung der Bundeswehr absolvieren können. Ein militärisches Dienstverhältnis aber erst mit Volljährigkeit und auch nur nach einer erneuten Verpflichtung geschlossen werden kann.

Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass Militärwerbung bei Minderjährigen gesetzlich verboten wird – wie es auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Deutschen Bundestages fordern?

Wir wollen, dass die Bundeswehr als Parlamentsarmee den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention selbstverständlich gerecht wird. Deshalb werden schon jetzt die Werbemaßnahmen der Bundeswehr regelmäßig vom Parlament überprüft, ob sie irreführend, manipulativ oder verklärend einen nicht realitätsbasierten und deshalb falschen Einfluss auf potentielle Bewerberinnen haben. Das gilt natürlich ganz besonders bezüglich des Adressatenkreises der Schulabgängerinnen, die noch nicht volljährig sind. Auch dieser Punkt gehört zum wichtigen Kontrollrecht der Bundestagsmitglieder gegenüber der Bundesregierung. Deshalb müssen alle Werbemaßnahmen besondere Rücksicht auf noch nicht volljährige Schulabsolventinnen nehmen. Dafür achten wir darauf, dass das Berufsbild Soldat / Soldatin realitätsnah und nicht verklärend dargestellt wird.

Wie wollen Sie künftig den Schutz minderjähriger Soldatinnen vor sexuellen Übergriffen, körperlicher und seelischer Gewalt, Unfällen, psychischen Schäden und anderen Risiken der Soldatenausbildung gewährleisten, zu denen die Bundeswehr nach nationalen und internationalen Gesetzen verpflichtet ist?

Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen. Prävention spielt dabei die entscheidende Rolle. Wie in allen Ausbildungsverhältnissen, so gilt das selbstverständlich auch für den Arbeitgeber Bundeswehr. Auch im Hinblick auf die inhärente Gefahrgeneigtheit der Berufsbilder, hat die Bundeswehr eine ganz besondere Verantwortung ihren Auszubildenden gegenüber, wie im allgemeinen auch ihren Angestellten und Soldatinnen. Das wird auch durch besondere Gesetzesgrundlagen deutlich, die speziell für die Bundeswehr gelten (z. B. die Zentrale Dienstvorschrift, das Soldaten-, Wehrstrafgesetz). Verstöße gegen Rechtsnormen sind disziplinar und auch strafrechtlich zu verfolgen und zu ahnden. Zugleich kontrolliert auch hier der Deutsche Bundestag im Rahmen der parlamentarischen Arbeit und mit der Wehrbeauftragten die Ausbildungs-, Arbeits- und Dienstbedingungen der Bundeswehr.
Die SPD will aber noch nicht volljährige Auszubildende noch besser schützen:
– die zusätzliche Dienstverpflichtung erst zum Zeitpunkt der Volljährigkeit, um die Freiwilligkeit der Rekrutierung sicherzustellen.
– die Benennung und Schulung von speziellen Ansprechpartnerinnen und dienstlichen Vorgesetzten für die Interessen von minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten. – die getrennte Unterbringung von Minderjährigen und Volljährigen in Einrichtungen der Bundeswehr. die Erstellung einer wissenschaftlichen Untersuchung, die speziell die Situation sowie Erfahrungen minderjähriger Rekrutinnen und Rekruten und die Risiken wie Traumatisierung analysiert.


Wird Ihre Partei dafür sorgen, dass Daten zur Lage minderjähriger Soldat*innen (zu sexuellem Missbrauch, Unfällen, Gesundheit, politischem Extremismus, Kündigung) in der Bundeswehr künftig mindestens einmal im Jahr ausgewertet und veröffentlicht werden?

Die Bundeswehr unterliegt einer breiten Berichtspflicht gegenüber dem Parlament und damit gegenüber der Öffentlichkeit. In diesen Berichten ist insbesondere bei Meldungen über Verstöße gegen Dienstpflichten oder bei einem Verdacht einer Straftat standardmäßig zu erfassen, ob Minderjährige betroffen beziehungsweise beteiligt sind. Im Jahresbericht der Wehrbeauftragten werden diese Zahlen jährlich der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, eine öffentliche Debatte des Berichtes erfolgt im Parlament. Anlassbezogen lässt sich die SPD-Bundestagsfraktion zusätzliche Berichte des Verteidigungsministeriums vorlegen. Zugleich besuchen unsere Abgeordneten die Truppe in den Kasernen und schaffen sich ein persönliches Bild von den Situationen vor Ort. Aus Sicht der SPD ist mit den bestehenden Berichtspflichten und den parlamentarischen Kontrollinstrumenten bereits heute eine vielschichtige und transparente Datenlage geschaffen.

Berlin, Frankfurt a.M. – Anlässlich des Weltkindertages am 20. September hat das Bündnis „Unter 18 Nie“ die Bundesregierung aufgefordert, die Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr sofort zu stoppen. Es legte hierzu Interviews mit minderjährigen Soldaten sowie ein brisantes und bisher unveröffentlichtes Dokument des Verteidigungsministeriums vor, das die Gefährdung des Kindeswohls Minderjähriger in der Bundeswehr belegt. Zugleich kündigte das Bündnis an, diese Dokumente dem Ausschuss für die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen zu melden.


„Die Daten aus dem Verteidigungsministerium belegen, dass 17-jährige Mädchen und Jungen als Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr hohe Risiken haben und körperliche sowie seelische Schäden erleiden“, sagt Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte des Kinderhilfswerks terre des hommes und Sprecher der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“. „In den vergangenen drei Jahren waren mindestens 17 minderjährige Soldatinnen und Soldaten Opfer sexueller Gewalt, mindestens acht kamen bei Unfällen zu Schaden und ein minderjähriger Soldat verübte Suizid. Fast jeder vierte Soldat der Bundeswehr ohne Einsatzerfahrung leidet unter psychischen Erkrankungen. Dadurch, dass die Bundesregierung weiter die Rekrutierung von Jugendlichen als Soldatinnen und Soldaten erlaubt, ist sie auch für diese Risiken und Schäden verantwortlich. Es handelt sich hierbei um schwere Kinderrechtsverletzungen und gravierende Verstöße gegen die UN-Kinderrechtskonvention.“


„Es ist nicht akzeptabel, dass Jugendliche als Soldatinnen und Soldaten eingestellt und in der Bundeswehr hohen Risiken ausgesetzt werden und es noch nicht mal besondere Schutzmaßnahmen für sie gibt“, sagt Martina Schmerr, Referentin im Organisationsbereich Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Sprecherin von „Unter 18 Nie“. „In Schulen und Bildungseinrichtungen gibt es inzwischen strenge Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Derselbe Maßstab muss auch in der Bundeswehr angelegt werden. Stattdessen werden Jugendliche ohne jeden Schutz mit Erwachsenen zusammen untergebracht, sie erhalten dasselbe gefährliche militärische Training und haben keine speziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. In einem Drittel der Fälle sexueller Gewalt, die minderjährige Soldatinnen und Soldaten in den vergangenen drei Jahren erleiden mussten, stehen Vorgesetzte unter Tatverdacht – dies deutet auf Machtmissbrauch und ein systemisches Problem bei der Bundeswehr hin. Und es macht sehr deutlich: Die Bundeswehr ist kein Ort für Kinder und Jugendliche.“


„Wir werden diese neuen besorgniserregenden Daten dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes melden, der bis Mitte 2022 überprüft, wie Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention umsetzt“, erklärt Willinger. „Der UN-Ausschuss fordert die Bundesregierung schon seit 2008 auf, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben – eine Aufforderung, die bisher von der Bundesregierung ignoriert wird mit dem Verweis auf eine Ausnahmeregelung für staatliche Armeen in einem Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention. Diese Regelung kann allerdings nur dann greifen, wenn alle Kinderrechte der Konvention eingehalten werden – dass dies bei der Bundeswehr nicht der Fall ist, wurde vielfach belegt* und wird jetzt durch die neuen Daten wieder bestätigt. Die Haltung der Bundesregierung ist rückständig – denn nur noch wenige Staaten weltweit nutzen die Ausnahmeregelung, mehr als dreiviertel aller Staaten rekrutieren junge Menschen frühestens, wenn sie volljährig sind. Die nächste Bundesregierung muss hier dringend handeln und das Rekrutierungsalter für Soldatinnen und Soldaten endlich auf 18 Jahre erhöhen.“

Info: Die Daten, auf die in der Pressemitteilung der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ Bezug genommen wird, stammen aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich.


Die Interviews mit minderjährigen Bundeswehrsoldaten der Journalistin Leoni Gau zeigen Beispiele, wie die Bundeswehrwerbung auf Jugendliche wirkt, was passiert, wenn junge Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr trotz Vertrags wieder verlassen wollen, wie sie der Umgangston und der Militärdienst belasten und dass dies zu schweren psychischen Problemen führen kann. Hier kommen Sie zu Interview 1, 2 und 3.


*Schattenbericht Kindersoldaten 2007, 2013, 2019, 2020 (offizielle Dokumente im UN-Staatenberichtsverfahren zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention durch Deutschland)
*Studie „Why 18 matters – eine Analyse der Rekrutierung von Kindern“ (2019).
Die Interviews und das Dokument aus dem Verteidigungsministerium finden Sie unter „Weitere Dokumente“ und die genannten Studien unter „Publikationen“ auf der Webseite:
www.unter18nie.de/materialien-publikationen-dokumente/


Kontakt:
Martina Schmerr, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Martina.Schmerr@gew.de, Tel: 069-78973-322
Ralf Willinger, terre des hommes Deutschland, r.willinger@tdh.de, Tel: 0541-7101-108
Die Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ setzt sich seit 2019 dafür ein, dass das Rekrutierungsalter der Bundeswehr auf 18 Jahre angehoben und Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen verboten wird. Sie wird getragen von einem breiten Bündnis von Organisationen aus den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Kirche und Gewerkschaft.
Trägerorganisationen der Kampagne „Unter 18 Nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr!“:
Kontakt für die Gesamtkampagne: Sarah Fontanarosa (Campaignerin) info@unter18nie.de Tel: 0176/64248443
www.unter18nie.de

Die Welt, 02. September 2021, Sabine Menkens und Leoni Gau

Zwischen sieben und neun Prozent aller neuen Rekruten sind beim Dienstantritt noch minderjährig. Ihre Erwartungen sind oft hoch – die Abbrecherquoten auch. Mehr als ein Viertel hört schon in der Probezeit auf. Die Gründe sind vielfältig. Drei junge Männer erzählen.

Wenn Max M. sagen soll, was ihn daran gereizt hat, als 17-Jähriger nach dem Schulabschluss bei der Bundeswehr anzuheuern, fällt ihm als Erstes etwas Profanes ein: das sichere Geld. „Das war auch etwas, das meine Mutter die ganze Zeit betonte. Du hast jetzt acht Jahre einen sicheren Job. Das ist super. Mach das.“

Schon sein Vater und sein Onkel seien bei der Bundeswehr gewesen, erzählt M. – dass er es ihnen nachtat, habe sich
folgerichtig angefühlt. Auch für sich persönlich erhoffte er sich einiges von der Armeezeit: „Ich dachte, dass das Leben jetzt richtig anfängt und ich dort zum Mann werde.“
Eine Erwartung, die schnell enttäuscht wurde, als er nach der dreimonatigen Grundausbildung zum Sanitätsdienst kam. „Meine Einheit war dafür zuständig, den ganzen Tag lang Quarantäne-Zelte auf- und wieder abzubauen. Ich wollte aber Sanitäter werden und kein Materialbeauftragter, der in der Logistik arbeitet. Ich fühlte mich betrogen“, sagt Max M. Sein Problem anzusprechen, wagte er nicht. Stattdessen setzte er sich zu seiner Großmutter nach Berlin ab – um kurz darauf von
Feldjägern wieder zurück in die Kaserne eskortiert zu werden. Nach der zweiten Fahnenflucht musste M. für zwei Wochen in die Arrestzelle. „Es war ziemlich krass. Ich hatte nichts, kein Fernsehen, kein Handy. Das Einzige, das in dieser Zelle lag, war eine Bibel, die mich eigentlich überhaupt nicht interessierte.
Trotzdem las ich sie in dieser Zeit zwei Mal durch.“ Einen Monat später verließ Max M. die Bundeswehr vorzeitig.
Ein Schritt, den überdurchschnittlich viele jung rekrutierten Soldaten gehen. Das zeigen Zahlen aus dem Bundesver-teidigungsministerium, die der CDU-Abgeordnete Frank Heinrich erfragt hat und die WELT vorliegen. Gerade unter den minderjährigen Rekruten sind die Abbrecherzahlen hoch.
Im Jahr 2019 etwa wurden 1705 junge Männer und Frauen unter 18 Jahren eingestellt; 467 gaben ihren Dienst bereits
in der sechsmonatigen Probezeit auf. Ähnlich ungünstig war das Verhältnis in den Jahren zuvor. 2018 gab es 464 Probezeit-Kündigungen unter den 1679 minderjährig eingestellten Rekruten; 2017 war das Verhältnis 584 zu 2126, im Jahr zuvor 588 zu 1910 und im Jahr 2015 444 zu 1511. Im Corona-Jahr 2020 wurden insgesamt weniger minderjährige Rekruten eingestellt; von den 1148 Neuanfängern gaben 236 in den ersten sechs Monaten auf.
Doch auch nach den sechs Monaten Probezeit bleibt die Abbrecherquote hoch, wie es in dem unter anderem von der Kinderrechteorganisation Terres des hommes herausgegebene „Schattenbericht Kindersoldaten 2019“ heißt.

Demnach verlässt sogar der Großteil der minderjährig rekrutierten Soldaten die Bundeswehr vor Ablauf der regulären Dienstzeit. „Aus unserer Sicht ist das eine Lose-lose-Situation, sowohl für die jungen Menschen als auch für die Bundeswehr, die erhebliche Ressourcen in die Ausbildung steckt“, sagt Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte bei Terre des hommes und Sprecher der Kampagne „Unter 18 nie! – Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“.
Die Einstellung Minderjähriger bei der Bundeswehr ist seit Jahren umstritten. Nach einem Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention gilt für die Streitkräfte eigentlich ein Mindestalter von 18 Jahren. Die Bundeswehr macht allerdings wie einige der 171 Vertragsstaaten von der Ausnahmeregelung Gebrauch, auch schon 17-jährige Freiwillige zu Ausbildungszwecken zu rekrutieren – wenn die Eltern zustim- men. Die Jugendlichen dürfen zwar nicht in kriegerischen Konflikten oder im bewaffneten Wachdienst eingesetzt werden, erhalten aber eine herkömmliche militärische Ausbildung. Inzwischen sind zwischen sieben und neun Prozent der neuen Rekruten beim Dienstantritt minderjährig.
„Mit einer umfassenden Aufklärung und Beratung zu den Chancen und Risiken des Soldatenberufs und einem intensiven, wissenschaftsbasierten und eignungsdiagnostischen Assessment-Verfahren stellt die Bundeswehr darüber hinaus sicher, dass nur 17-Jährige eingestellt werden, die sich eingehend mit den Anforderungen des Soldatenberufs auseinandergesetzt haben und die erforderliche Eignung aufweisen“, teilt das Verteidigungsministerium mit.

Dass das nicht in jedem Fall gelingt, zeigt das Beispiel des heute 19 Jahre alten Janne M. Schon in der achten Klasse hatte er sich für eine Laufbahn bei der Bundeswehr entschieden – animiert durch die YouTube-Werbeserie „Die Rekruten“. Mit sechzehneinhalb sprach er beim Karrierecenter der Bundeswehr vor. Dass die Entscheidung verfrüht sein könnte, kam ihm damals nicht in den Sinn. „Stattdessen dachte ich: Wenn ich jetzt zur Bundeswehr gehe, habe ich starke Aufstiegschancen und kann richtig Karriere machen, weil ich noch so jung bin.“ Letzten Endes aber warf Janne M. bereits nach einer Woche in der Probezeit hin. „Jeden Morgen war ich nervös vor dem Tag, hatte Bauchschmerzen und konnte nichts essen — immer mit dem Gedanken im Kopf, gleich wieder angeschrien zu werden. Außerdem konnte ich durch diese Grundanspannung nicht mehr richtig schlafen. Ich wusste, dass ich funktionieren muss, und hatte Angst, es nicht zu tun.“
Inzwischen hat Janne M. ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und beginnt demnächst eine Ausbildung. Die psychischen Belastungen im Militärdienst sind durchaus hoch; auch das geht aus den Antworten des Verteidigungsministeriums auf die Fragen des Abgeordneten Heinrich hervor. Das Ressort verweist auf eine epidemiologische Feldstudie des Psychotraumazentrums (PTZ) sowie der Technischen Universität Dresden, in der zwischen 2009 und 2013 Prävalenzraten psychischer Erkrankungen in der Bundeswehr erhoben worden waren. „Dabei ergab sich eine 12-Monatsprävalenz psychischer Erkrankungen von ber 20 Prozent sowohl bei Einsatzteilnehmenden (21,4 Prozent), als auch bei Soldatinnen und Soldaten ohne Einsatz (22,5 Prozent)“, heißt es in der Antwort.
„Das Inanspruchnahmeverhalten spezifischer Therapie war dabei gering (10-20 Prozent) und belegt somit eine hohe Dunkelziffer, der die Bundeswehr mit Aufklärungskampagnen und niederschwelligen Hilfsangeboten intensiv begegnet.“ Ein fortlaufendes Ansteigen der Fallzahlen sei daher als positiver Effekt dieser Bemühungen zu werten. Alerdings verzeichnete die Bundeswehr zwischen 2018 und 2020 auch 167 Suizidversuche sowie 50 vollendete Suizide; unter letzteren Fällen war eine minderjährige Person.
Zudem gab es im Zeitraum 2018-2020 insgesamt 848 Verdachtsmeldungen in der Kategorie „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ oder sonstige Formen sexueller Belästigung, wie das Verteidigungsministerium mitteilt. In 17 dieser Verdachtsmeldungen wurden minderjährige Soldatinnen oder Soldaten als Betroffene geführt; in fünf dieser Verdachtsfälle richtete sich der Anfangsverdacht gegen Vorgesetzte der möglicherweise betroffenen Minderjährigen.
„Die Daten belegen ein großes Ausmaß an Risiken und Schäden, denen minderjährige Soldatinnen und Soldaten ausgesetzt sind und zeigen sehr deutlich, dass auch die Bundeswehr – wie alle Armeen – kein Ort für Minderjährige ist und die Rekrutierung Minderjähriger dringend gestoppt werden muss“, fordert Kinderrechtsexperte Willinger.
Auch Sebastian S. hatte bei der Bundeswehr mit psychischen Problemen zu kämpfen. Er hatte sich von ansprechender Werbung zur Truppe locken lassen: „Die Kampagne war stark auf dieses Abenteuerliche, Wilde ausgelegt. Sie
vermittelte dir, dass du als Soldat absolut männlich und kämpferisch sein würdest. Damals sagte mir das zu.“ Die Grundausbildung sei auch eine „wirklich schöne Zeit“ gewesen, sagt S. Dann aber folgte der Alltag in einer Kaserne „im Nirgendwo mitten im Wald“. Ein, zwei Stunden am Tag habe er etwas zu tun. „Den Rest des Tages hing ich nur rum.“ Eine Perspektivlosigkeit, die S. als belastend empfand. Ebenso wie die strengen Hierarchien und den herablassenden Umgangston. Mental und körperlich sei es ihm im Laufe der Zeit immer schlechter gegangen, bis im Frühjahr dieses Jahres die Einweisung ins Bundeswehrkrankenhaus kam. „Dort wurde festgestellt, dass ich eine durch Stress ausgelöste Vorstufe von Schizophrenie entwickelt habe.“ Mithilfe von Medikamenten hat S. seine psychischen Probleme inzwischen in den Griff bekommen. Auch seine vierjährige Dienstzeit will er noch beenden. Der Preis, den er gezahlt habe, sei hoch gewesen, sagt S. Aber er habe auch viel über sich gelernt. „Ich bereue die Entscheidung nicht.“

Max M. war 17, als er zur Bundeswehr ging. Nach eineinhalb Jahren haute er ab. Ein Gespräch über seine Motivation, Soldat zu werden und die Gründe, wieso er die Bundeswehr verließ.

Was hat dich dazu bewegt, zur Bundeswehr zu gehen?

Meine Eltern haben mich beeinflusst. Mein Onkel und mein Vater waren selbst dort. Nach der Schule musste ich mich für einen Weg entscheiden. Ich hatte nie das Gefühl, etwas für Deutschland tun zu müssen. Ich war bei der Bundeswehr wegen meiner Eltern und wegen des Geldes.

Die Bundeswehr als sicherer Arbeitgeber?

Ja. Das war auch etwas, das meine Mutter die ganze Zeit betonte. Du hast jetzt acht Jahre einen sicheren Job. Das ist super. Mach das. Als 17-Jähriger bin ich dann direkt nach der Schule zur Bundeswehr. Für mich war es weder ein Beruf, noch eine Berufung, sondern vielmehr ein Sprungbrett. Finanziell hat es sich auf jeden Fall gelohnt. Ich hatte keine Ausgaben, keine Wohnung, kein Auto — Dinge, die ich sonst hätte finanzieren müssen.

Wärst du auch zur Bundeswehr gegangen, hättest du erst mit 18 Jahren rekrutiert werden können?

Das wäre darauf angekommen, was ich in dem Jahr gemacht hätte. Hätte ich das ganze Jahr nur zu Hause rumgesessen und gewartet, dass ich 18 werde, dann bestimmt. Es war auch ein gewisser Druck hinter der Entscheidung, denn alle aus meiner Schule haben ihr Leben nach dem Abschluss geplant und ich stand bis zum Ende da und wusste einfach nicht, was ich machen will.

Wie hat dein Umfeld auf deine Entscheidung, zur Bundeswehr zu gehen, reagiert?

Ein paar meiner Freunde haben es nicht verstanden. Aber ich konnte mir auch selber gar nicht vorstellen, was man jetzt genau bei der Bundeswehr macht. Ich hätte es mir auch viel krasser vorgestellt. Ich hatte die ganze Zeit im Kopf, wie es in den USA abläuft. Ich dachte, dass das Leben jetzt richtig anfängt und ich dort zum Mann werde.

Das hat sich nicht bestätigt?

Überhaupt nicht. Nach den drei Monaten Grundausbildung habe ich beim Sanitätsdienst begonnen. Meine Erwartung war, im Sanitätsdienst auch als Sanitäter zu arbeiten. Doch meine Einheit war dafür zuständig, den ganzen Tag lang Quarantänezelte auf- und wieder abzubauen. Ich wollte Sanitäter werden und kein Materialbeauftragter, der in der Logistik arbeitet. Ich fühlte mich betrogen.

Hast du dieses Problem angesprochen?

Ich traute mich nicht. Meine Art damit umzugehen, war, dem Dienst fernzubleiben. Ich meldete mich weder krank, noch sprach ich jemanden an. Das fühlte sich zu diesem Zeitpunkt wie ein guter Weg an. Ich fuhr dann zu meiner Oma nach Berlin und hielt mich dort auf — mit der Geschichte eines Kameraden im Ohr, man würde von den Feldjägern geholt werden, wenn man Fahnenflucht begehe. Ich dachte, das wäre völliger Blödsinn. Und doch fuhr ich eines Abends mit einem mulmigen Gefühl zu einem Freund. Als ich am nächsten Tag nach Hause kam und duschen ging, hörte ich plötzlich die Haustür aufgehen, dann viele Schritte. Da standen sie dann zu fünft, solche Zwei-Meter-Typen. Feldjäger, die Polizei der Bundeswehr.

Was passierte dann?

Sie brachten mich zu ihrem Stützpunkt und steckten mich in eine Zelle. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher. Später wurde ich zurück nach Bayern eskortiert und bekam erst einmal Ärger.

Wie ist der Ärger ausgefallen?

Zunächst relativ leicht, da erst der dritte Versuch zivilrechtlich geahndet wird. Dummerweise haute ich zwei Wochen danach wieder ab. Ich wartete wieder und sie holten mich. Dieses Mal musste ich am nächsten Tag jedoch zu einem Offizier, der mir direkt verkündete, dass ich für zwei Wochen in die Zelle muss. Dann ging alles ganz schnell. Der Leutnant redete mit mir, machte ein Telefonat und dann ging es sofort in die Zelle.

Wie waren die zwei Wochen in der Zelle?

Es war ziemlich krass. Ich hatte nichts, kein Fernsehen, kein Handy. Das einzige, das in dieser Zelle lag, war eine Bibel, die mich eigentlich überhaupt nicht interessierte. Trotzdem las ich sie in dieser Zeit zwei Mal durch. Ich hatte eine Stunde Freigang, nutzte sie aber nicht. Ich streikte und ging auch nicht zum Essen. Ich nahm mir morgens immer ein Brötchen mit auf die Zelle. Das war’s.

Ich schlief am Tag und lag wach in der Nacht. Das war schlimm. Das einzige Fenster war sehr weit oben, so dass ich den Tisch darunterstellte, um wenigstens etwas rausgucken zu können. Die Wärter kamen immer wieder und durchsuchten meine Zelle. Ich durfte zum Beispiel keine Schnürsenkel besitzen. Ich schrieb meiner Mutter, da ich zu wenig Unterhosen hatte. Ich bekam ein Paket und einen Brief von ihr. Die zwei Wochen waren für mich die schlimmste Zeit bei der Bundeswehr.

Wie ging es nach den zwei Wochen weiter? Konntest du die Bundeswehr direkt verlassen?

Nein, leider nicht. Ich kam an einem Mittwochmorgen raus und musste direkt meinen Dienst antreten. Es verging ein halbes Jahr von dem Tag, an dem ich zum ersten Mal äußerte, dass ich die Bundeswehr verlassen will und dem Tag, an dem ich unterschrieb, dass meine Zeit dort zu Ende war — etwa einen Monat nach meiner Entlassung aus der Zelle.

Danach blickte ich noch negativer auf meine Zeit in der Bundeswehr zurück. Ich wollte Sanitäter werden und habe nichts in dieser Richtung machen können. Und auch in Bayern wollte ich nicht sein. Kurz bevor ich in meine Stammeinheit kam, lernte ich zu Hause in Berlin meine Freundin kennen. Das war alles zu viel für mich. Ich war an jedem Wochenende, das ich in Berlin verbrachte, tausendmal glücklicher als in Bayern. Ich lebte nur für das Wochenende.

Interview: Leoni Gau

Für Janne M. stand schon in der 8. Klasse fest, dass er nach der Schule zur Bundeswehr gehen will. Mit 17 war es soweit, doch schon nach einer Woche kündigte er. Wie er sich seine Karriere bei der Bundeswehr vorstellte und warum er sich so schnell dagegen entschied, erzählt Janne in unserem Gespräch.

Wie bist du mit 17 Jahren zur Bundeswehr gekommen?

Ich war in der 8. Klasse als die Bundeswehr-Serie „Die Rekruten“ auf YouTube erschien. Ich schaute sie komplett, kam so auf den Gedanken Bundeswehr und informierte mich weiter. Ich wollte klar in die militärische Richtung und nicht in die zivile, weil ich ins Ausland wollte. Als es darum ging, die eigene Zukunft zu planen, vereinbarte ich ein Beratungsgespräch im Karrierecenter der Bundeswehr.

Wie alt warst du bei dem Beratungsgespräch?

Ich war etwa sechzehneinhalb. Bei dem Beratungsgespräch wurde mir gesagt, was ich schon vorher wusste. Dass ich noch sehr jung sei, wo ich hingehen und was meine Aufgaben sein könnten. So hatte ich seit der 8. Klasse das Ziel, zur Bundeswehr zu gehen und habe das auch erst einmal durchgezogen.

Warum wolltest du unbedingt ins Ausland?

Ich hatte schon immer den Wunsch, Menschen zu helfen. Ich wollte etwas bei der Bundeswehr machen, wobei ich die Welt sehe und mit Menschen in Kontakt bin.

Mir war auch bewusst, dass es die „Soldatenkrankheit“ PTBS gibt. Ich habe mir nicht nur diese Bundeswehr-Serien angeschaut, sondern auch Dokumentationen über Auslandseinsätze und ihre Folgen.

Hast du in der Zeit schon mit Freunden und deiner Familie über deine Entscheidung gesprochen?

Ja, ich erzählte als erstes meinen Eltern, dass ich zur Bundeswehr gehen will. Meine Mutter war von Anfang an der richtigen Meinung als sie sagte, dass ich nach einem Tag wieder da bin, auch wenn es letztendlich doch eine Woche gedauert hat.

Es war aber niemand in meinem Umfeld dagegen — außer der Sozialarbeiter an meiner ehemaligen Realschule. Seine Frau war voll dagegen, dass Minderjährige Soldaten werden. Das war ein großer Punkt für die beiden.

Hat das Alter denn für dich eine Rolle gespielt?

Damals dachte ich gar nicht darüber nach, zu jung für die Bundeswehr zu sein. Jetzt weiß ich, dass ich es war. Ich hätte einfach noch ein bisschen warten sollen und hätte dann Soldat werden können. Stattdessen dachte ich, wenn ich jetzt zur Bundeswehr gehe, habe ich starke Aufstiegschancen und kann richtig Karriere machen, weil ich noch so jung bin. So habe ich das damals gesehen.

Hattest du einen Plan B, falls das mit der Bundeswehr nicht geklappt hätte?

Zur Bundeswehr zu gehen, war eigentlich mein einziger Plan. Viele Leute aus meinem Umfeld sagten mir, dass ich sehr kommunikativ und sozial bin und warum ich nicht lieber in den sozialen Bereich gehe.

Für welchen Werdegang in der Bundeswehr hast du dich entschieden?

Langfristig wollte ich Berufssoldat werden, mich also für 13 Jahre verpflichten. Mein Plan war aber, mich erst einmal nur für zwei Jahre zu verpflichten, um leicht anzufangen. Bei dem Beratungsgespräch wurde mir gesagt, dass zwei Jahre nicht so viel brächten und ich lieber vier Jahre machen solle. Das habe ich dann gemacht, weil es mir empfohlen wurde. Aufgrund der sechsmonatigen Ausstiegsfrist hatte ich das Gefühl, genug Zeit zu haben, um zu entscheiden, ob und wie lange ich mich weiter verpflichten möchte.

Wärst du innerhalb der sechs Monate noch volljährig geworden?

Nein, ich bin im Mai 17 geworden und Anfang Oktober war der Beginn der Grundausbildung.

Was wäre passiert, wenn du die Bundeswehr nach den sechs Monaten hättest verlassen wollen?

Das wurde mir ehrlich gesagt nicht erklärt. Das hätte wirklich besser kommuniziert werden müssen. Es gibt ja schließlich auch die Feldjäger, die Polizei der Bundeswehr, die zu dir nach Hause kommen, wenn du nicht in der Kaserne auftauchst. Du musst dich in den sechs Monaten entscheiden — und das lieber zu früh als zu spät, denn mit den Feldjägern willst du dich nicht anlegen.

Wieso hast du die Bundeswehr dann letztendlich schon nach einer Woche verlassen?

Die erste Woche war vorbei und ich bin über das Wochenende nach Hause gefahren. Ich musste viel über die letzten Tage nachdenken und habe für mich festgestellt, dass ich mit dieser Grundanspannung, die ich jeden Tag hatte, nicht länger klarkomme. Jeden morgen war ich nervös vor dem Tag, hatte Bauchschmerzen und konnte nichts essen — immer mit dem Gedanken im Kopf, gleich wieder angeschrien zu werden. Außerdem konnte ich durch diese Grundanspannung nicht mehr richtig schlafen. Ich habe schon geschlafen, aber mir war untergründig bewusst, gleich wirst du wieder aus dem Bett geschrien und sobald du daran denkst, ist es soweit und du musst zu 100 Prozent da sein. Ich wusste, dass ich funktionieren muss und hatte Angst, es nicht zu tun.

Wir hatten eine Tafel, an die anonym geschrieben wurde, wer etwas nicht konnte oder wenn eine Zeit für irgendeine Aufgabe nicht eingehalten wurde. Sobald eine Kleinigkeit nicht lief, wurde diese von dem Zugführer vor der ganzen Gruppe angesprochen. Natürlich ist das Teil der militärischen Erziehung. Man könnte jetzt sagen, daran gewöhnt man sich schon, aber für mich war es der Punkt, an dem ich gesagt habe, ich kann mein Leben auch entspannter leben. Aufgrund dieser Dinge war ich mir sicher, dass ich bei der Bundeswehr nicht glücklich werde und kündigte nach dem Wochenende. Das sagte ich auch meinen Kameraden und meinen Ausbildern und dass ich vorhabe, etwas im sozialen Bereich zu machen. Jetzt habe ich ein FSJ gemacht und fange eine Ausbildung an. Das war trotz des Jahres Leerlauf in meinem Lebenslauf, die richtige Entscheidung.

Interview: Leoni Gau

Sebastian S. ist mit 17 Jahren zur Bundeswehr gegangen. In unserem Gespräch erzählt er von den mentalen Auswirkungen, die seine Entscheidung mit sich brachten.

Du bist mit 17 Jahren zur Bundeswehr gegangen. Warum?

Ich war in der 10. Klasse am Ende meiner regulären Schulzeit angelangt und hatte keine Lust mehr auf Schule, wusste aber auch nicht, was ich arbeiten wollte. Ich spielte schon immer mit dem Gedanken, zur Polizei zu gehen. Das traute ich mir aber nicht zu. Zu diesem Zeitpunkt lief damals eine riesige Kampagne der Bundeswehr, die ich mit meinen 17 Jahren sah und mir dachte, warum nicht zur Bundeswehr gehen, ein bisschen Abenteuerspielplatz erleben.

Hast du so die Kampagne der Bundeswehr wahrgenommen?

Absolut. Sie brachten quasi Comics. Die Kampagne war stark auf dieses Abenteuerliche, Wilde ausgelegt. Sie vermittelten dir, dass du als Soldat absolut männlich und kämpferisch sein würdest. Damals sagte mir das zu. Ich bewarb mich und wurde angenommen.

Wie war das Auswahlverfahren?

Ursprünglich wollte ich eine Unteroffizierslaufbahn als Feldwebel machen. Dafür hielt mich die Bundeswehr jedoch zu jung. Gleichzeitig boten sie mir eine Mannschafter-Laufbahn an. Ich konnte mich für eine Verpflichtung auf vier oder acht Jahre entscheiden und nahm natürlich die vier Jahre, obwohl sie mich von den acht Jahren überzeugen wollten.

Spielte die finanzielle Absicherung eine Rolle für dich?

Auf jeden Fall. Mir war bewusst, dass ich sehr gut davon leben und Geld sparen kann. Ich wusste von vornherein, dass mir die vier Jahre zeigen werden, ob ich Soldat bleiben oder etwas anderes machen möchte. Ich sah die Möglichkeit, mich in den nächsten Jahren selbst zu finden.

Was waren deine ersten Eindrücke in der Bundeswehr?

Meine dreimonatige Grundausbildung, die ich in Sachsen absolvierte. Das war eine wirklich schöne Zeit. Es gab viel zu tun und es war körperlich sehr anstrengend. Dadurch, dass diese drei Monate wirklich fordernd waren, wuchs ich auch mit den anderen Soldaten zusammen. Ich blicke gerne auf diese Zeit zurück.

Sahen so deine Erwartungen an deine Zeit bei der Bundeswehr aus?

Ja, denn die Grundausbildung hatte dieses Abenteuerliche. Ich wusste zwar, dass es danach ruhiger werden würde. Und dennoch, in meiner Stammeinheit kam schnell der Bundesalltag, der mich zurück in die Realität holte und mich merken ließ, dass hier vor allem Nichtstun auf der Tagesordnung steht.

In meiner neuen Kaserne, die im Nirgendwo mitten im Wald lag, wartete erst einmal nur der Telefonposten auf mich. Diese Arbeit mussten alle neuen Soldaten übernehmen. Somit hatte ich für ein, zwei Stunden am Tag etwas zu tun. Den Rest des Tages hing ich nur rum.

Aber wie sah dann so ein Tag in der Kaserne aus?

Man lag einfach im Bett und machte gar nichts. Klar, manchmal gab es Aufgaben wie „räumt den Keller auf“, „fegt das und das“ oder „beladet die Panzer“, aber abgesehen davon verbrachten wir die meiste Zeit nur auf dem Zimmer und machten nichts.

Das ist auch ein Grund für den massiven Alkoholmissbrauch in der Truppe. Aufgrund der Langeweile finden regelmäßige Besäufnisse statt. Viele Soldaten sind unzufrieden und das schlägt sich auch auf den Arbeitsalltag nieder, sodass man mit weniger Motivation an die Arbeit geht und hier und da kleine Verstöße begeht, die einem das Leben etwas erleichtern. Teilweise war die Luft wirklich so dick, dass man sie hätte greifen können.

Wie war der Zusammenhalt in der Kameradschaft? Wurdest du gut integriert?

Ich wurde gut aufgenommen, weil ich mich in der ersten Zeit sehr anpasste. Will man diese Kameradschaft wirklich spüren, dann muss man sich anpassen. Irgendwann habe ich jedoch meinen eigenen Kopf entwickelt.

Spielten Hierarchien eine Rolle?

Die Hierarchien waren bei den Dienstgraden massiv spürbar. Zwischen Mannschaftern und Feldwebel-Unteroffizieren gab es ein starkes Gefälle. Die Offiziere waren die absoluten Götter, die Unteroffiziere Halbgötter und die Mannschafter standen ganz unten.

Hatte das Auswirkungen auf dich?

Gerade psychisch gesehen war das eine schwere Belastung. Zum einen aufgrund des Miteinanders der Dienstgrade, zum anderen aufgrund der Perspektivlosigkeit durch das Nichtstun.

Hast du eine psychologische Beratung in Anspruch genommen?

Ja. Ich bekam echt Probleme, da es mir mental und körperlich immer schlechter ging, was sich auch auf meine Leistung auswirkte. Ich ging zum Arzt, der mich an die Truppenpsychologie verwies. Es wurde zu der Zeit immer schlimmer, bis ich dann ins Bundeswehrkrankenhaus kam. Dort wurde festgestellt, dass ich eine durch Stress ausgelöste Vorstufe von Schizophrenie entwickelt habe. Die habe ich mittlerweile mit Medikamenten im Griff, sodass ich jetzt soweit auch wieder klar im Kopf bin.

Bereust du deine Entscheidung, zur Bundeswehr gegangen zu sein?

Nein. Auf der einen Seite gab es beschissene Zeiten. Auf der anderen Seite habe ich viel über mich selbst gelernt. Ich bildete mir dort eine eigene Meinung. Jetzt weiß ich, was ich machen möchte und was nicht. Wenn meine Zeit bei der Bundeswehr vorbei ist, möchte ich mein Abitur nachholen und auf Lehramt studieren. Die vier Jahre waren eine lange Zeit und sie hatten einen hohen Preis, aber ich bereue die Entscheidung nicht.

Du hast dich verändert und weiterentwickelt während deiner Zeit bei der Bundeswehr. Hat sich denn die Bundeswehr in den vier Jahren verändert?

Nein, gar nicht.

Bist du trotz alledem jemandem aus deiner Zeit dort dankbar?

Meinem besten Freund. Ich habe ihn in der Bundeswehr kennengelernt und wir machen das Gleiche durch. Wir wissen beide, dass der andere leidet und unterstützen uns gegenseitig. Zusammen stehen wir diese Zeit besser durch.

Interview: Leoni Gau

Unsere Kampagne hat vier Fragen bei CDU/CSU, SPD, FDP, den Linken und den Grünen eingereicht um ihre jeweilge Position zum Thema Minderjährige in der Bundeswehr abzufragen. Von der Union, den Grünen und den Linken haben wir bereits Antworten erhalten.

Bitte nutzen Sie unsere Vorlage und fragen auch Sie Ihre Bundestagsabgeordneten und -kandidaten nach ihrem Standpunkt. Schriftlich per Brief oder Mail, telefonisch oder online bei www.abgeordnetenwatch.de, und geben Sie uns gerne Bescheid, welche Antworten Sie bekommen.

Unsere Fragen lauten:

1. Rekrutierung minderjähriger Soldat*innen

Deutschland ist eines von wenigen Ländern weltweit, das den internationalen 18-Jahres-Standard bei der Rekrutierung von Soldatinnen nicht einhält (über 150 Länder halten ihn ein) und jedes Jahr minderjährige Jungen und Mädchen als Bundeswehrsoldatinnen einstellt, in den letzten 10 Jahren (seit 2011) waren es insgesamt über 14.000, im Jahr 2020 waren es 1.148.


• Wird Ihre Partei sich für die Anhebung des Bundeswehr-Rekrutierungsalters auf 18 Jahre einsetzen – wie es vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und von der Kinderkommission des Deutschen Bundestages gefordert wird?

2. Militärwerbung bei Minderjährigen

Die Bundeswehr wirbt mit teuren Kampagnen in den Sozialen Medien, auf Messen und Veranstaltungen bei Minderjährigen. Soldatinnen und Soldaten (Jugendoffiziere und Karriereberater) erreichen bei Schulbesuchen jedes Jahr mehrere Hunderttausend Schüler*innen, sie betreiben Imagewerbung und halten Vorträge vor Schulklassen. Die Risiken und Schattenseiten des Soldatenberufs werden dabei ganz verschwiegen oder unzureichend thematisiert, gleiches gilt für gedruckte Informations- und Werbematerialien der Bundeswehr.


• Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass Militärwerbung bei Minderjährigen gesetzlich verboten wird – wie es auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Deutschen Bundestages fordern?

3. Sexuelle, körperliche und seelische Gewalt, Unfälle und weitere Risiken

Bei der Bundeswehr kommt es jedes Jahr zu schweren Unfällen und sexuellem Missbrauch. Die Zahl strafbarer sexueller Übergriffe, die von der Bundeswehr registriert werden, hat sich von 2015 (86) bis 2019 (345) vervierfacht. In den letzten drei Jahren waren laut Verteidigungsministerium davon mind. 17 Minderjährige betroffen. Minderjährige werden mit Erwachsenen zusammen untergebracht und an der Waffe militärisch ausgebildet, sie erlernen Kriegstechniken und wie man Menschen tötet.
• Wie will Ihre Partei künftig den Schutz minderjähriger Soldat*innen vor sexuellen Übergriffen, körperlicher und seelischer Gewalt, Unfällen, psychischen Schäden und anderen Risiken der Soldatenausbildung gewährleisten, zu denen die Bundeswehr nach nationalen und internationalen Gesetzen verpflichtet ist.

4. Datenerhebung zur Lage minderjähriger Soldat*innen

Zur Lage minderjähriger Soldatinnen in der Bundeswehr werden bisher keine Daten ausgewertet und veröffentlicht, obwohl sich diese Verpflichtung aus den Schutzpflichten der UN-Kinderrechtskonvention und ihres ersten Zusatzprotokolls ergibt und diese Daten vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes von Deutschland eingefordert wurden.

Wird Ihre Partei dafür sorgen, dass Daten zur Lage minderjähriger Soldatinnen in der Bundeswehr (zu sexuellem Missbrauch, Unfällen, Gesundheit inkl.
psychologische Gesundheit, physischer und psychischer Gewalt (inkl. Mobbing), Suiziden, Drogenmissbrauch, politischem Extremismus, vorzeitigem Abbruch oder Kündigung des Dienstverhältnisses, etc.) künftig mindestens einmal im Jahr ausgewertet und veröffentlicht werden?